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Ob Kind, Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollator oder „Otto-Normal-Verbraucher“– bei der „Tonne im Gestell“ lassen sich Hausmüll, Biomüll, Papier oder Wertstoffe ohne Mühe in die 240-Liter-Tonne einwerfen. Arc 32 heißt die Lösung für den barrierefreien Zugang zur Mülltonne, den die Produktdesignerin Evelyn Malinowska im Rahmen ihres Diplompraktikums bei der Berliner Stadtreinigung entwickelt hat. Inzwischen hat die junge Frau ihr Einser-Diplom, einen Arbeitsvertrag bei der BSR und die ersten Prototypen des Arc 32 gefertigt. Ein Partner für den Praxistest wurde in diesem Jahr mit der Gewobag ebenfalls gefunden. Seit Anfang Oktober stehen auf dem Müllplatz in der Gartenfelder Straße in Berlin-Haselhorst Papier-, Glas-, Bio-, Wertstoff- und Hausmülltonnen im Gestell.

 Einwurf mit einer Hand

„Wir kommen Ihnen entgegen. Diese Tonne erleichtert das Wegwerfen.“ So werden auf einem Schild gleich am Eingang zum Müllplatz die Mieterinnen und Mieter darauf aufmerksam gemacht, dass in ihrer Spandauer Wohnanlage ein neues barrierearmes System erstmalig getestet wird. „arc 32“ heißt der neue Tonnenhalter. Der Name ist schnell erklärt: Mit einem Neigungswinkel von genau 32 Grad wird die Höhe der Tonnenöffnung auf genau 82,5 Zentimeter reduziert. Durch die Neigung der Tonne wird zudem ein freier Bereich geschaffen, der von Rollstuhlfahrern unterfahren werden kann und durch den auch Menschen mit Rollator nah genug an die Tonne herankommen können. Der Deckel der „Tonne im Gestell“ muss nicht mehr angehoben werden, sondern kann kinderleicht nach hinten geschoben werden. So ist die bequeme Müllentsorgung mit einer Hand möglich.

Pilotphase für eine Jahr

Etwa 700 Bewohnerinnen und Bewohner leben in den 290 Wohnungen, die in das Pilotprojekt an der Gartenfelder Straße einbezogen sind. Der Anteil an älteren Menschen (über 65 Jahre) ist mit etwa 50 Prozent überdurchschnittlich hoch. Geschätzt sind etwa zehn Prozent der Mieterinnen und Mieter auf einen Rollstuhl angewiesen. Zehn Behälter im Gestell stehen nun für die verschiedenen Müllfraktionen als Prototypen in einer Reihe des Müllplatzes. Sie sollen in dem Wohngebiet auf Alltagstauglichkeit getestet und – wenn nötig – noch optimiert werden.

Beim Vor-Ort-Termin freut sich der Spandauer Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank über diese neue Entwicklung: „Für uns sind die Herausforderungen einer älter werdenden Bevölkerung ein wichtiges Anliegen. Daher haben wir auch diesen Pilotversuch unterstützt und begrüßen, dass mit der Gewobag und der BSR hier zwei landeseigene Unternehmen neue Wege gehen.“

BSR-Vorstand Werner Kehren betont, wie wichtig der BSR das Thema Kundenorientierung ist: „In einer so rasant wachsenden Stadt wie Berlin ist es zwingend, dass auch wir vorausdenkend und innovativ agieren und unseren Kunden aus der Wohnungswirtschaft zur Seite stehen. Mit dem neuen arc 32, aber auch mit Lösungen wie den Unterflurbehältern nehmen wir das Thema Barrierefreiheit in Angriff.“ Zudem merkt Kehren an, dass bei Neubau genauso wie bei Sanierung die Abfallentsorgung meist nicht in den Köpfen der Planer präsent ist. Auch bei der Verkehrsplanung würde nicht immer berücksichtigt, dass die BSR mit ihren Fahrzeugen durch die Straßen fahren müsse. „Daher ist uns die frühzeitige, inhaltliche Zusammenarbeit sowohl mit den Bezirken als auch natürlich mit unseren Kunden besonders wichtig.“ 

Gewobag-Vorstandsmitglied Snezana Michaelis ist vom Nutzen der „Tonne im Gestell“ überzeugt: „Für uns als Wohnungsunternehmen ist es wichtig, dass wir unseren Mieterinnen und Mietern in jeder Lebensphase ein passendes Zuhause anbieten können. Dem Single genauso wie der Familie mit Kindern oder Menschen im höheren Alter. Von generationsübergreifender Bedeutung ist dabei eine barrierearme Gestaltung der Wohnsituation. Diese fängt beim schwellenlosen Zugang zur Wohnung an und hört bei einer komfortablen Müllentsorgung noch lange nicht auf. Etwa jeder fünfte Gewobag-Mieter ist älter als 65 Jahre. Schon allein vor diesem Hintergrund stellen wir uns dem demografischen Wandel, entwickeln Konzepte für zukunftsorientiertes Wohnen und sind mit mehreren innovativen Projekten am Start, eines davon sehen wir heute in Haselhorst. Ich bin gespannt, wie es von der Nachbarschaft angenommen wird.“

 

Ihre Ansprechpartnerinnen:                                                                                                            

Sabine Thümler (BSR)                               0171 / 22 72 210
Dr. Gabriele Mittag (Gewobag)                  030 / 4708-1525

 

Evelyn Malinowska (29) ist Produktdesignerin und arbeitet in der Abteilung Energie, Umwelt, Innovationendes Vorstandsbüros der Berliner Stadtreinigung (BSR). Sie hat die deutschlandweit erste Lösung zur barrierefreien Abfallsammlung mit einer 240-Liter-Mülltonne entwickelt, die ökonomisch und mit geringem baulichen Aufwand auch nachträglich umgesetzt werden kann.

Eine Produktdesignerin in Diensten der BSR, das klingt erst einmal ungewöhnlich. Wie hat sich diese Mitarbeit ergeben?

E. M.: Als das Ideenlabor der BSR 2012 einen internen Ideenwettbewerb ausschrieb, wurden anschließend Designstudierende eingeladen, die besten Konzepte der BSR-Beschäftigten zu visualisieren. Ich war eine dieser Studierenden und „meine“ Idee gewann sogar den ersten Preis. So wurde ich auf die BSR als potenziellen Partner für mein sechsmonatiges Diplompraktikum aufmerksam. Ich erhielt die Zusage – eine Produktdesignerin im Team, das war für die BSR eine Premiere. Seit September 2012 arbeite ich nun auch im BSR Ideenlabor mit, erst als Praktikantin, dann als Diplomandin und schließlich als Designerin. Bedarf gibt es genug, denn die BSR ist als zukunftsorientiertes Unternehmen immer auf der Suche nach innovativen Ideen.

Was ist ganz anders am „arc32“, dem barrierefreien Prinzip der Müllentsorgung, das Sie entwickelt haben?

E. M.: Es gewährleistet eine Nutzung für alle, denn die Mülltonne ist auf eine bequeme und barrierefreie Höhe von 82,5 cm abgesenkt und neigt sich zum Nutzer. Die gängige 240-Liter-Mülltonne bleibt dabei unverändert. Neu ist die feste Haltevorrichtung, ein einfacher Stahlrahmen, in den die Mülltonne eingehängt wird. Eine „Einhandbedienung“ ist möglich, denn der Deckel ist an einem extra Schließarm befestigt und kann auf der Haltevorrichtung abgelegt werden. Damit ist ein weiteres großes Problem gelöst: Der schwere Deckel fällt nicht einfach zu. Diese Vorteile sind besonders praktisch für Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollator, Kinder, Senioren und viele andere. Auch für Sehbehinderte und Blinde ergibt sich ein wichtiges Plus: Die Mülltonnen haben im Gestell zukünftig einen festen Platz und sind auf Anhieb zu finden.

Von der Idee zur barrierefreien Müllentsorgung – können Sie uns einen Einblick in den Entwicklungsprozess geben?

E. M.: Meine Wahl fiel nicht zufällig auf dieses Thema. 2013 rückte das Thema „Demographischer Wandel“ immer stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ein Projekt dazu direkt umzusetzen, fand ich spannend. Von Anfang an arbeitete ich eng mit den Zielgruppen zusammen: In einem BSR-Workshop befragte ich Rollstuhlfahrende, Gehbehinderte und ältere Menschen. Diese Interviews gaben mir eine Richtung vor – und schlossen andere gleich aus. Ein Beispiel: Alle Ideen mit einem Fußpedal zum Öffnen der Tonne fielen weg, denn für Menschen mit Gleichgewichtsproblemen ist der händische Betrieb viel besser. Danach entstanden erste Skizzen und Modelle, ich habe mit Tonnen aus Papier und Modellhartschaum „experimentiert“. Natürlich spielten Funktionalitäten und auch die Deutsche Industrie Norm (DIN) eine große Rolle. Somit wurde der erste Ansatz, die Mülltonne selbst zu verändern, verworfen und das Ziel verfolgt, die Tonne durch Neigen auf barrierefreie Höhe zu bekommen.
Knackpunkt: Ich brauchte eine Haltevorrichtung, die die Tonne im richtigen Winkel festhält. Erst mit einem 1:1-Modell aus Holz ließ sich klären, ob die Haltevorrichtung wirklich so gut funktioniert wie in meinem Kopf und auf der Skizze. Am Holzmodell passierte dann der Feinschlief, bevor ein Prototyp aus Stahl produziert wurde. Zu meiner Diplompräsentation kamen die teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops ganz am Anfang und probierten die barrierefreie Müllentsorgung aus. Sie waren sehr begeistert. Jetzt bin ich natürlich gespannt, wie die Tonne beim Test bei den Mieterinnen und Mietern der Gewobag ankommt.

Wieviel Design steckt Lösung zur barrierefreien Abfallsammlung – und wieviel gesunder Pragmatismus?

E. M.: (lacht) Eine Balance aus beidem ist es, was gutes Design ausmacht. Design für den heutigen Gebrauch muss einfach leicht verständlich sein. Aber gerade das einfache Design ist das schwerste. Ich arbeite ganz praktisch durch Ausprobieren und Optimieren – um am Ende funktionales Design für alle zu entwickeln.